19. März 2016
Alles wieder auf Null…
Es stimmt, dass wir noch in Arizona sind, aber es stimmt nicht, dass wir jetzt weiter nach Nordosten fahren.
Die Wetternachrichten ändern sich schlagartig:
Es soll am Grand Canyon richtig, richtig kalt werden.
Was das Wetter kann, können wir auch: Also wieder rüber über’n Colorado River und ab sofort Richtung Westen:
Nach wenigen Kilometern sind wir wieder in California, dieses Mal auf der Interstate 40, wenigstens für die nächste Stunde…
Aber jetzt wechseln wir schon wieder, nein, nicht die Richtung, sondern die Straße:
Nach den Empfindungen vieler America BesucherInnen sind wir eigentlich erst jetzt richtig in USA angekommen.
Wir folgen nämlich der guten, alten Route 66.
Links und rechts der Straße wüstenähnliche Weite…
Sie befindet sich, auf diesem Abschnitt jedenfalls, in einem trostlos vergessenen Zustand, ganze Abschnitte für den Verkehr gesperrt, dazwischen so vernachlässigt, dass wir sie als eine „Straße der Verlierer“ empfinden.
Sie und mit ihr die paar Hinterbliebenen leben wahrscheinlich nur von den Glückstränen der Nostalgiker aus den Sechzigern/ Siebzigern des verblichenen Jahrhunderts, die diese Straße heute verklärt bereisen…
Das Verrückte ist, für dieses Gefühl und trotz der „Bucks“, die für dieses Empfinden hier ausgegeben werden, darf die Straße gar nicht erneuert werden, sondern muss ihren morbiden Charme möglichst immer weiter authentisch versprühen.
Schlaglöcher, Risse in der Fahrbahndecke, fehlende Markierungen, enge Brücken, verlassene und verrottete ehemalige Tankstellen, zurückgelassene Häuser aus vergammelndem Holz und versifft erscheinende, aber manchmal noch in Betrieb befindliche Cafés und Motels.
Dazu gehören die sie bereisenden, inzwischen (wahrscheinlich) verrenteten, Nachfolger der Easyrider auf ihren verzückt nach „Freiheit“ brüllenden Harleys.
Eigentlich müssten die Fotos alle im Retro-Modus hier erscheinen, hi,hi…
Ein besonderes Zwischenziel soll laut den Reiseführern für diese Ecke der Welt das Peggy Sue’s Diner sein.
Der Name löst bei mir, ohne es gesehen zu haben, gedanklich eher die Assoziation eines Friseursalon oder eines Nagelstudios in Eberswalde, Nach-DDR aus. (Yvonne’s oder Kathie’s Friseursalon…)
Als wir aber ankommen, ist es einfach irre zu sehen…
Es ist die US-amerikanische Ausgabe einer Fritten- und Burgerbude, US-sized mit vier Speiseräumen in der Einöde,
das Besondere:
der üppige 50th Style und die Disney-nachahmende, etwas vernachlässigte Kinderbelustigung im Hinterhof, ein Dinosauriergarten…
Wir verlassen die Route 66 nach knapp 100 Kilometern wieder zugunsten der schnelleren Interstate 40.
Ich muss, um diesen Beitrag in allen Einzelheiten richtig zu iPad zu bringen, zum ersten Mal in unseren Kalenderaufzeichnungen nachschauen, wo der Sierra Trail RV Park, unser nächster Übernachtungsplatz wohl mitten in California zu finden sein könnte.
Keine spontane Erinnerung mehr daran!
Mojave, Mojave, wo war das noch mal?
OK, jetzt haben wir’s:
In der Nähe von California City, am südlichen Eingang zum Central Valley. Jedenfalls war’s weg.
Unserer Erinnerung nachhelfende Besonderheiten:
– die Frau im Office vertreibt sich die Zeit mit dem Nähen von Quilts und bastelt unter anderem Dreamcatcher…
– und sie ist sehr nett, denn obwohl der Campground ausgebucht ist, gibt sie uns die Site Nr. 5, deren Dauermieter sein telefonisches Einverständnis dafür gegeben hat…
Von hier aus geht es am nächsten Tag, dem 20. März 2016, heftig in die grün bewiesten Berge,
denn die müssen überwunden werden, bevor wir in das, in Süd-Nordrichtung verlaufende, fruchtbare Central Valley hinunter kommen.
Bei herrlichem Frühlingswetter blühen sie uns, die Wiesen nämlich, links und rechts des Hwy prachtvoll entgegen.
Am frühen Nachmittag erreichen wir Desert Palm RV Park, Bakersfield.
Ein schicker, aber fast hermetisch abgeschlossener RV Park mit Pool und Yakuzi.
Beides nutzen wir bei sehr angenehmen Temperaturen ausgiebig,
wie das auch die liebevollen Eltern Sandra und Mark aus Broome in Australien mit ihren zwei Töchtern tun, die wir als heutige Nachbarn herzlich begrüßen.
Es braucht für unsere Fahrt durch dieses „inner“ California einfach viel Zeit, weil dieses Land tatsächlich mit all dem gesegnet ist, was ein Paradies so braucht:
Berge, hier noch nicht ganz hoch-, eher schwäbisch alpin, wie wir es lieben,
Matten ohne Ende…
fruchtbare Ebenen für Viehzucht, Weinbau, Zitrusfrüchte und anderes Obst.
Eben einfach alles da, was die Menschen hier sesshaft werden ließ.
…und Augen auf, hier auch alpine Dimensionen, als Ankündigung für spätere Reiseabschnitte.
Alles, so scheint es, beste Voraussetzungen für das Leben der Menschen?
Wir, so gemütlich vor uns hin cruisend, gelangen über den „Sun & Fun RV Park“ in Tulare CA, den wir hier als weiteren Zwischenaufenthalt für zwei Nächte in der Nähe der Interstate erwähnen wollen, sehr gern in den Pinnacle National Park.
Wir genießen diese Strecke, zuhause wäre allein sie schon eine Ferienreise wert, über die kleine von Süden her kommende Straße dorthin. Es ist absolut beeindruckend, welche landschaftliche Schönheit wir hier zu sehen bekommen…
Weitläufige, friedliche Täler wechseln sich mit geschwungenen, gute Laune verbreitenden, Hügeln ab.
Es fühlt sich so an, als wenn die Welt hier zu Ende wäre, aber da liegt einfach so der …
Ringsherum um diese „Dead End Road“ erheben sich die bewaldeten Hügel, morgens noch Nebelschwaden umwoben, aus der Ebene nach oben.
Darüber gibt es nur noch strahlenden Himmel und meist kurz vor Sonnenuntergang geruhsam und majestätisch kreisende Geier.
Auf der Erde lernen wir unsere Nachbarn kennen: „He Vero, Reiner, would you like a cold beer?“ Ich sage nicht nein.
Wir revanchieren uns…
Das Firewood ist sündhaft teuer, aber weil wir schon seit mehreren Wochen keine Gelegenheit mehr dazu gehabt haben, die Campgrounds oder Parks hatten keine Firepits, scheiß was auf die 10 $, die ein einzelne Bundle kostet.
Es ist ein geniales Gefühl in dieser Landschaft ringsherum die Feuer brennen zu sehen. Die Kinder von nebenan sitzen genau wie wir andächtig davor.
Die Einladung dieser Männer-Nachbarn, bis auf Elsie, die jüngste, 2 Boys, Vater und Großvater kommt kurze Zeit später, und die einladungstiftende Frage lautet:
„Do you like S’More?“ „We don’t know!“
Und schon sitzen wir mit ihnen da und probieren das amerikanische „Stockbrotgrillrezept“ für Kinder:
Einen an einem langen Stock aufgespießten Marsh Mellow, der über dem Feuer vorsichtig geröstet wird und anschließend blitzschnell in zwei süße Cräcker zusammen mit einem Block Hershey Milchschokolade eingepackt.
…und alle verlangen S’more, what means: some more!
So, wo’s schon mal so richtig gemütlich ist und es in Wirklichkeit schon fast stockdunkel ist, kommt die für mich völlig überraschende Frage:
„Reiner, do you tell us a ghost-story? We like to tell fire-stories!“
Tja, jetzt bin ich dran und schaue hilfesuchend zu Vero: Rotkäppchen? Auf Englisch?
„Okaaayyyy!“ Lange Pause, gar nichts. Und dann:
„Once upon a time there was a little girl, she lived with her grandmother in the middle of a huge forest…“
Bald wird es holprig, Vero hilft mir mutig aus der Patsche und irgendwie bringen wir, hoffentlich fallen die Kinder bei dieser Schauergeschichte nicht ins Feuer, das Märchen, wahrscheinlich in unserer „homemade“ Fassung zum Ende.
Die offenstehenden Augen und Münder der Kinder sind ein wunderschöner Lohn für unsere schweißtreibende Leistung.
Vater und Kinder erzählen anschließend zum Prusten herrliche selbst erfundene Stories, die in der Dunkelheit so manchen ängstlichen Ausruf zur Folge haben, aber die Freude über die überstandenen Geisterauftritte überwiegt ganz offensichtlich.
Wir genießen diesen Abend und wünschen uns unsere eigenen Kinder im geistergeschichtenfähigen Alter genau hierher…
Once upon a time…
In Berlin ist es gerade 3:43h und ich lese Eure Erzählungen von Geistergeschichten am Lagerfeuer und wäre so gern dabei gewesen!
Denke an Euch!
Wie, Du bist noch wach???
Aber jetzt ab ins Bett!!!
LG Vero
wünsche Dir eine gute Woche mit schönen Geschichten…
und umarme Dich
Dein Papa